Forschungen zur Völkerwanderungszeit und zum Frühmittelalter Europas
Stempelverzierte Keramikfunde der Völkerwanderungszeit im Barbaricum –
Neue Funde vom frühmittelalterlichen Burgwall bei Kopchin (Lkr. Bautzen)
Stamp decorated pottery from the migration period in the Barbaricum – New finds from the early
medieval hill fort of Kopchin in Upper Lusatia East Germany
Armin Volkmann, Julius‐Maximilians‐Universität Würzburg
Abstract:
Through the systematic review of the finds of the early medieval slavic hill fort of Kopchin in Upper
Lusatia, some pottery fragments were identified that are probably older than previously believed:
They are dated to the migration period. This is of particular relevance. Traditionally, a gap in
settlement in northeastern Germany of the .– . centuries AD is postulated. This hiatus is apparently
due partly to the rather difficult secure dating of the often non‐specific ceramic types of this period.
With increasing knowledge of these ceramics over the last years, new finding sites of the migration
period were localized especially in northern Brandenburg and the German‐Polish Pomerania. )n
northeast Saxony, the presented pottery fragments are still singular discoveries of the .– . centuries
AD without parallels in this region.
Zusammenfassung
Durch die systematische Sichtung des Fundmaterials des frühmittelalterlichen Burgwalls von Kopchin
in der Oberlausitz konnten einige Keramikscherben identifiziert werden, die wohl älter als bisher
angenommen sind und in die Völkerwanderungszeit datieren. Dies ist von besonderer Relevanz, da für
Nordostdeutschland traditionell eine Besiedlungslücke im .– . Jh. AD postuliert wird. Dieser (iatus
ist offenbar teils auch der schwierigen sicheren Datierung der oft recht unspezifischen Keramiktypen
geschuldet. So konnten mit wachsendem Kenntnisstand dieser Keramiken in den letzten Jahren auch
einige völkerwanderungszeitliche Fundstellen, besonders in Nordbrandenburg und im deutsch‐
polnischen Pommern lokalisiert werden. )n Nordost‐Sachsen sind die vorgestellten singulären Funde
des .– . Jhs. AD jedoch bisher ohne sichere Parallelen, auch wenn mittlerweile einige Fundstellen der
Völkerwanderungszeit in der Region erkannt worden sind vgl. Abb. .
Unter dem keramischen Fundmaterial des altslawischen Burgwalls von Kopchin befinden sich zwei
hart gebrannte Scherben, die sich auch aufgrund der Verzierungen deutlich vom typisch altslawischen,
recht weich gebrannten Fundmaterial unterscheiden. Die zwei gefunden Wandungsscherben stammen
vom östlichen Vorburgbereich des Burgwalls und können leider keinem Befund eindeutig zugeordnet
werden. Wie sich aus den Fundakten erkennen lässt, handelt es sich dabei wohl um Oberflächenfunde
Fundangabe: „vom Burgwall und Feld davor“ , die schon vor
geborgen und später ins Museum
eingeliefert wurden. Erst
wurden diese durch eine erneute Sichtung des Fundmateriales als
außergewöhnliche Fundstücke identifiziert. Sie wurden zusammen mit zahlreichen mittel‐ bis
spätslawischen Scherben geborgen. Genauere Fundumstände sind jedoch aufgrund der Aktenlage
heute nicht mehr eindeutig rekonstruierbar. )m Oktober
kamen die zwei spätgermanischen
Scherben zusammen mit den slawischen Begleitfunden durch Ankauf der Privatsammlung von Georg
Zieschank aus Ostro in den Bestand des Museums der Westlausitz in Kamenz.
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Vom nordwestsächsischen Gräberfeld bei Liebersee an der Elbe sind neben zahlreichen früh‐ und spätvölker‐
wanderungszeitlichen Körpergräbern der Niemberger Gruppe Mitteldeutschlands auch frühslawische Bestat‐
tungen bekannt (BEMMANN/ENDER 1999–2008). Die seltenen Bandgräber der Völkerwanderungszeit in der
Oberlausitz (KOCH 2012, 55–60) sind dahingegen ostgermanisch geprägt (VOLKMANN im Druck 70 Abb. 45).
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Abb. 1: Völkerwanderungszeitliche Scherben vom Burgwall bei Kopchin (Inv.nr. IV 1398 J und IV 1398L; Fotos:
Museum der Westlausitz; Größe: 3–4 cm).
Eine der beiden Wandungsscherben ist rötlich oxidierend hart gebrannt und weist eine recht grobe
Magerung auf Abb. oben links . Sie ist mit Einzelstempeln in zwei doppelten Bändern verziert, die
sich ursprünglich kreuzten, was aber auf dem kleinen Scherben nur ansatzweise erhalten ist. Die
Oberfläche lässt noch leichte wisch‐ bzw. Glättspuren erkennen. Die vorliegende Einzelstempelzier
darf nicht mit der Rollrädchenzier verwechselt werden, da hier die fast rechteckigen, einzelnen
Ziereindrücke nicht mit einem Rollrädchen fortlaufend aufgebracht wurden. Das Zierelement der
Eindrücke wurde durch einen Stempel, der aus vier zum Quadrat gebündelt angeordneten
Einzelrechtecken bestand, erzeugt. Die etwas unterschiedlichen Formen entstanden durch die leicht
variierende Eindrucktiefe beim Stempeln der Gefäße. )m Gegensatz zur Rollrädchenzier liegen die
vierer Stempelbündel auch nicht ganz auf einer Linie, da sie nicht in einem Zug aufgebracht wurden.
Die aneinander gereihten vierer Stempelbündel liegen somit nur mehr oder weniger gut auf einer
annährend regelmäßigen Linie. Da nur ein kleines Fragment des ehemaligen Gefäßes vorliegt, kann
eine Rollrädchenzier aber nicht gänzlich ausgeschlossen werden. )n diesem Falle wäre es dann ein
Scherben mit doppelzeiliger Rollrädchenzier, und dieser wäre in die frühe römische Kaiserzeit Stufe
B zu datieren. )m wahrscheinlicheren Fall der Stempelzier, würde es sich aber um einen Scherben der
Völkerwanderungszeit Stufe D des . Jhs. AD handeln. Jedoch in beiden theoretisch möglichen
Fällen handelt es sich um einen in der Oberlausitz außergewöhnlichen Fund, da sowohl die frühe
Kaiserzeit als auch die Völkerwanderungszeit bisher nur seltenen sicher dokumentiert werden
konnten vgl. MEYER
; eine Ergänzung der dortigen Katalogvorlage stellt aufgrund der
zahlreichen Neufunde ein dringend benötigtes Desiderat dar . Die Datierung in das . Jh. AD wird
durch einen zusätzlichen Oberflächenfund an der Außenseite des östlichen Wallfußes von Kopchin
unterstützt: Dort wurde eine kleine dreigliedrige Gürtelschnalle der Völkerwanderungszeit mit D‐
förmigen Gestalt entdeckt Abb.
. Aus Laußnitz Lkr. Kamenz ist eine ebenfalls D‐förmige
Gürtelschnalle aus Bronze mit Kerbschnittzier und scheibenförmigen Dornfuß bekannt, die in die
zweite (älfte des . Jhs. AD datiert SPE(R
, f. und somit als höchst seltener Einzelfund auch
in der Oberlausitz die späte Völkerwanderungszeit belegt vgl. Foto in: KOC(
,
Abb.
.
Abb. 2: D‐förmige
Gürtelschließe aus Bronze
vom Burgwall von Kopchin
(4,5 x 3 cm) mit rundem
Querschnitt, rundlicher
Beschlagplatte mit drei Nieten
und einem im Querschnitt D‐
förmiger Dorn datiert in die 1.
Hälfte 5.Jhs. AD( Inv.nr. IV
2476; Zeichnung: Museum der
Westlausitz).
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Die zweite Wandungsscherbe ist ebenfalls hart gebrannt und recht fein gemagert mit kleinen
Glimmerteilchen Abb. oben rechts . Das ehemalige Keramikgefäß ist reduzierend gebrannt worden,
wobei die Oberfläche eine anthrazite Färbung aufweist und geglättet wurde. Der Scherben ist mit einer
tiefen, halbrunden Furche, angedeuteter Wellenzier sowie Bündeln von Einzelstempeln verziert. Da
die Stempelverzierungen recht unterschiedlich, nicht gleichmäßig rechteckig sind, handelt es sich auch
hier nicht um Rollrädchenzier der frühen römischen Kaiserzeit, sondern um Stempelbündelzier der
Völkerwanderungszeit.
Grundsätzlich ist völkerwanderungszeitliche Keramik in der Lausitz wie im gesamten
nordostdeutschen Raum chronologisch nur schwer fassbar, da sie in hohen Anteilen aus sehr
unspezifischen, grob gearbeiteten, einfachen und unverzierten Wandungsscherben ehemaliger
Kümpfe besteht. Diese undifferenzierte Keramik entspricht einer typologischen Verarmung des
Formenspektrums. Kümpfe sind sowohl in kaiserzeitlichen wie auch in frühslawischen Fundstellen
des . bis . Jhs. AD zu finden. Neben diesen sehr einfachen Gefäßformen sind aber für die
Völkerwanderungszeit besonders sehr ungewöhnliche Gefäße typisch. Diese können als Flaschen,
Kannen, Becher oder Schalen ausgeprägt sein, die oft sehr fein gearbeitet sind und römische
Glasfläschchen und sogar Bronzegefäße imitieren vgl. (EGEW)SC(
. Auch aus der Lausitz ist ein
solches )mitatgefäß des .– . Jhs. AD bekannt: Die sogenannte „Zeißholzer Kanne“ aus der Oberlausitz
weist eine Fundprovinienz im Schwarzmeergebiet, im Gebiet der germanischen Černjachov‐Sântana
de Mureş‐Kultur auf und verdeutlicht weitreichende Kontakte zur ostgermanischen Kultur, die über
viele tausend Kilometer reichten (EGEW)SC(
, –
. Neben ungewöhnlichen Gefäßformen
sind auch die Verzierungselemente der Keramiken der Völkerwanderungszeit oft sehr eigenwillig
ausgeprägt, da die Ornamentik eine große Variationsbreite aufweisen kann.
Abb. 3: Kartierung der völkerwanderungszeitlichen Fundstellen (Ende 4. –6. Jh. AD) in Nordostsachsen. Kopchin
liegt südöstlich von Kamenz in der Abbildungsmitte (Kartierung: Verfasser; Grundlage: Geobasisinformation und
Vermessung Sachsen).
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Stempelverzierte Keramiken der Völkerwanderungszeit sind beispielsweise aus Westpommern
Pomorze bekannt. Diese Funde von Gefäßen mit Stempelzier der Dębczyno‐Gruppe in Nord‐
Westpolen, im Bereich des Ostseehinterlands, haben jedoch an der Gesamtfundzahl aller dortigen
Keramikfunde nur einen geringen Anteil, der aber gegenüber der unscheinbaren Kumpfkeramik
besonders auffällt MAC(AJEWSK)
,
–
. Die stempelverzierte Keramik tritt in Pommern ab
der Stufe C in der späten römischen Kaiserzeit auf. Der Verbreitungsschwerpunkt liegt jedoch im
Elbgebiet, (olstein, seltener in Skandinavien und östlich im Bereich der Wielbark Kultur in
Großpolen , und geht dort wohl auf gepidisch bis langobardische Einflüsse aus Pannonien zurück
TRÄGER
,
ff. . )n den Stufen C /D bis E tritt die stempelverzierte Keramik sowohl in Qualität
als auch Quantität deutlicher hervor. Einige Funde von Stempeln die zum Auftragen der Stempelzier
dienten im Gebiet zwischen Oder und Elbe verdeutlichen die lokale Produktion der Stempelkeramik
auch in dieser Region. )n der späten Völkerwanderungszeit ist eine deutliche Fundhäufung im
Elbgebiet Mitteldeutschlands zu erkennen TRÄGER
,
Abb. .
Abb. 4: Aufwendig mit Stempeln verzierte Siedlungs‐ und Grabkeramik aus Westpommern (Woj. Zachodnio‐
pomorzkie) der Stufen D–E des 5.–6. Jhs. AD (Abbildung oben links): 1 Porzecze, 2 Dębczyno Fdst. 6, 3 Skrobotowo
(Grab), 4 Dębczyno Fdst. 2 (Grab 27), 5 Resko (Grab), 6 Grzybnica (Grab 12); Abbildung rechts oben (2, 8, 10, 11)
Scherben des 5.–6. Jhs. AD mit Rechteck‐Stempel‐Gruppenzier aus Lubiesszewo Fdst. 2, die stark fragmentiert als
kleine Scherben leicht mit Rollrädchenzier der frühkaiserzeitlichen Stufe B verwechselt werden können (Abb. nach
MACHAJEWSKI 2001, 363, 367 Abb. 3, 5).
Die älteste Stempelkeramik ist in Pommern an Schalen mit zick‐zack gefüllten Dreiecken der Stufe C –
D zu erkennen Abb. oben links . Die jüngsten stempelverzierten Schalen der Stufe E sind meist mit
Kreuz‐, Tulpen‐, Rosetten‐ und (ühnerfußstempeln versehen Abb.
oben links
. Ein mit
Keilstrichrosetten verziertes Webgewicht ist zusammen mit einem seltenen Siebheber bzw.
Siebgerät aus (erzsprung in der brandenburgischen Uckermark unweit westlich der Oder bekannt
geworden, wo es allgemein in das . bis . Jh. gestellt wird (EGEW)SC(
, Anm.
,
Fundortverzeichnis der dortigen „Stufe )V“ . Schalen in Pommern verfügen über Kreis‐, Dreieck‐,
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Forschungen zur Völkerwanderungszeit und zum Frühmittelalter Europas
Winkel‐, Kamm‐ und Spiralrollenstempelzier. Einige Schalen weisen daneben Gruppenstempel aus
gestrichelten oder aus kleinen Rechteckeindrücken aufgebauten, geometrischen Feldern auf Abb.
oben links , , , . Ebenso liegen diese ornamentalen Muster auf zahlreichen Scherben vor Abb.
oben rechts , wobei sie an frühkaiserzeitliche Rollrädchenzier erinnern und auch oft als solche
fälschlicherweise klassifiziert werden. So ist mit einer erheblichen Dunkelziffer nicht erkannter
völkerwanderungszeitlicher Stempelzierkeramik zu rechnen, da einige Fundstellen mit vermeintlich
„rollrädchenverzierten Scherben“ in die frühkaiserzeitliche Stufe B, statt korrekt als
Stempelzierkeramik in die völkerwanderungszeitlichen Stufen D–E gestellt werden. Des Weiteren ist
die Rollrädchenzier an Keramiken in der spätmerowingerzeitlichen Francia im . Jh. AD nicht selten
GROSS
,
Abb.
. . Jedoch ist diese in der Lausitz, wie auch im Nordosten Deutschlands,
bisher nur im Ausnahmefall belegt – möglicherweise liegt auch hier ein Forschungshiatus vor, der
einen Ansatz für weiterreichende Studien bietet.
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