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Die Germanen: Mythos und Forschungsrealität Armin Volkmann Vor- und Frühgeschichte, Institut für Archäologische Wissenschaften der J.-W. Goethe Universität Frankfurt/Main und Digital Humanities, Lehrstuhl für Computerphilologie und Neuere Deutsche Literaturgeschichte der JuliusMaximilians-Universität Würzburg Inhalt Ersterwähnung des Namens „Germanen“ ..................................................................................................................................... 1 Wer waren die „Germanen“? ............................................................................................................................................................... 3 Woher kamen die „Germanen“? ......................................................................................................................................................... Was ist typisch „germanisch“ in der Archäologie? .................................................................................................................... „Germanisches Recht“............................................................................................................................................................................. Literatur ........................................................................................................................................................................................................ Ersterwähnung des Namens „Germanen“ Der Begriff „Germanen“ ist zuerst von römisch- denen sich im Verlauf der Zeit eine Vorform des griechischen eingeführt Kalenders entwickelte. Innerhalb des diffusen worden. In der antiken Literatur wurde er als Weltbildes über die nördlichen Gebiete außerhalb Sammelbegriff für alle nordöstlich des Rheins des Römischen Reiches wurde der Wohnsitz der lebenden Barbaren verwendet. Die Menschen dort Germanen, d.h. „Germanien“, allgemein zwischen bezeichneten sich jedoch selber mehrheitlich nicht den Kelten im Westen und den Skyten im Osten als Germanen. Die exogen gegebene (Fremd-) eingeordnet, wobei klare Grenzen noch unbekannt Bezeichnung Germanen beschreibt keine Ethnizität waren. Im 2. bis 1. Jh. BC war der Germanenbegriff oder einheitliche Volksgruppe, sondern sie fasst die wohl weiterhin in der römischen Welt geläufig – die Diversität unterschiedlicher Stammesverbände mit erhaltenen schriftlichen Quellen schweigen jedoch endogen ausgeprägten Namen zusammen. darüber. Erst aus der Mitte des 1. Jhs. BC ist vom Geschichtsschreibern griechischen Philosophen und Historiker Poseidonios Die erste schriftliche Nennung der „Germanen“ ist von Apamea ein narratives Zitat bekannt, dass bereits aus dem späten 3. Jh. BC bekannt, wo sie neben Kimbern auch die Sitten der Germanen neben den Galliern in den Triumphal-Fasten zum aufführt, und sie als Nachbarn der Kelten im Jahr 222 BC im Zusammenhang des dort rechten Rheingebiet lokalisiert (vgl. SEYER 1988, verzeichneten römischen Sieges von M. Claudius 55–59). Das anschließende barbarische Hinterland Marcellus bei Clastidium über die "Galleis Insubribus et war aus römischer Sichtweise noch weitgehend eine Germ[an(eis)]" erwähnt wurden (TIMPE 1998, 2f.). Terra incognita; ein unbekanntes Land mit wilden Die Fasti waren eine Liste der wichtigsten Tage aus Einwohnern am nördlichen Ende der Welt, weit 1 außerhalb der römischen Ökumene. Die römische politischem Fremdbezeichnung im zusammengefasst, um einen kaum oder nur schwer gallisch-keltischen Siedlungsgebiet am Mittel- und bezwingbaren, übermächtigen Gegner einer sehr Niederrhein und wurde ursprünglich von den großen Volksgruppe zu stilisieren. Die politisch linksrheinischen intentionierten Berichte Caesars sicherten ihm „Germanen“ Kelten als entstand Name für die Kalkül und Germanen rechtsrheinischen keltischen Gruppen verwendet. weiterhin Durch die linksrheinischen Kelten wurde der Unterstützung Roms. Darüber hinaus legitimierten Germanenbegriff an die Römer vermittelt und von sie gleichzeitig das Ende seiner Expansionserfolge diesen übernommen, wie die plausible Hypothese am Rhein. von D. TIMPE, basierend auf der Analyse der In schriftlichen Quellen, verdeutlicht (DERS., 6–7). Ödlandstreifen rechts des mittleren Rheins zur Ab der 2. Hälfte des 1. Jhs. BC kamen die Römer Zeitenwende beschrieben, der die Folge einer durch ihre Expansionsbestrebungen auch ins planmäßigen Entsiedlung durch die römische rechtsrheinische Gebiet und damit zusehends in Armee war (SCHLEGEL 2005, 85–88). Erst durch Kontakt mit germanischen Stämmen (gentes), sodass die augusteischen Expeditionen des Drusus, tief ins diese nun verstärkt in den schriftlichen Quellen Innere Germaniens zwischen den Jahren 12 bis 9 erwähnt wurden (SEYER 1988, 49ff.). Bereits in BC, wurden die Vorstellungen über Germanen im den Berichten De bello Gallico im sogenannten Römischen „Germanenexkurs“ des römischen Feldherren und schriftliche Dokumente der Zeitenwende belegen späteren Kaisers Gaius Iulius Caesar über den (TIMPE 1998, 35–48). So rückten die Germanen Gallischen Krieg von 58 bis 51/50 BC taucht die im Rahmen dieser Erkundungen, die entlang der Bezeichnung Germani cisrhenani auf, die sich Nordseeküste und im rechtsrheinischen Gebiet bis ursprünglich auf verschiedene germanisch-keltische an die Saale und Elbe sowie u.a. entlang des Mains Stämme beiderseits des mittleren Rheingebiets führten, zusehends in den Fokus der römischen bezog Außenpolitik. den Gelder als schriftlichen Reich die militärische Quellen konkreter, wird wie ein zahlreiche In diesen Kriegszüge, die eigentlich gegen die Gallier Kolonisationsgebieten wurden gerichtet waren, wurde schon 55 BC im Zuge einer stadtähnliche Feldlager (wie beispielsweise in Strafaktion gegen die links des Rheines ansässigen Waldgirmes an der Lahn) errichtet, die man nicht Germanen der Rhein kurzfristig nach Osten nur permanent zu etablieren versuchte, sondern die überquert. Aus Gründen der besseren Verteidigung als präurbane „Keimzellen“ einer systematischen wurde der Rhein im Folgenden als Reichsgrenze Binnenkolonisation festgesetzt und willkürlich als „ethnische“ Grenze SCHNURBEIN 2000, 34–37). Durch die römische zwischen den Galliern und Germanen beschrieben. Niederlage in der Varusschlacht im Jahr 9 AD Erst durch Caesar wurde mit dem Begriff endeten Germanen das rechtsrheinischen Gebiet in der Germania magna Geschichtsbild nachhaltig bis ins 20. Jh. prägte. So abrupt. Zweifelsohne ist die verstärke schriftliche wurden in den Aufzeichnungen Caesars teils recht Erwähnung der Germanen wohl auch dem unterschiedliche Stämme östlich des Rheins aus Umstand der römischen Niederlage des Publius (TIMPE ein 1998, Volk 4–5). Innerhalb gleichgesetzt, was der diese dienen ersten potentiellen sehr sollten Aktivitäten schnell (vgl. im 2 Quinctilius Varus in den Wäldern Germaniens im beschrieben. Er bezog sich dabei u.a. auf ältere, Jahr 9 AD geschuldet, bei der drei römische heute nur teilweise erhaltene Werke, wie das von Legionen samt Hilfstruppen und Tross, d.h. zirka Plinius dem Älteren, der, im Gegensatz zu Tacitus, 20000 Soldaten, vernichtend geschlagen wurden, wohl in der Mitte des 1. Jhs. tatsächlich in was einem Zehntel der gesamten römischen Germanien gewesen war (SEYER 1988, 49–55). Militärstärke entsprach (DIETZ 2000, 2f.). Diese Die ebenfalls nur fragmentiert überlieferten zu diesem Zeitpunkt einzigartige Niederlage hatte Annalen des Tacitus waren die wichtigste Grundlage nahezu der ab dem Frühmittelalter erfolgten sogenannten traumatische Auswirkungen auf die römische Politik und Geschichtsschreibung. So „germanisch-römischen versuchte man in Rom die Niederlage durch die Geschichtsschreibung“ und Identitätsbildung im Stilisierung und Rahmen der Staatengründungen und folgenden mächtigen Gegners zu verarbeiten, der konstruiert Konsolidierungen sowie der zum Teil daraus als Germanen dargestellt wurde. resultierenden Ethnogenesen. Diese retrospektive Erst durch die Feldzüge des Gaius Iulius Caesar „Entstehung der Völker“ basierte oft auch auf den Germanicus in den Jahren 14 bis 16 AD könnte das mythischen Erzählungen zur Abstammung der Römische Reich dauerhaft bis in die Mitte des 3. vermeintlich „germanischen Vorfahren“ nach der Jhs. ins rechtsrheinische Gebiet, von der Wetterau „Mannus-Genealogie“ in der Germania des Tacitus, im Norden, über den unteren Main, östlich des die in der Forschung auch als „taciteischer Neckars bis zur Mündung des Altmühls in die Namensatz“ bekannt ist und vielfach, jedoch ohne Donau (Obergermanisch-Raetischer Limes der konkret fassbares Ergebnis zur Abstammung der römischen Provinz Germania superior), ausgedehnt Völker, analysiert wurde (vgl. SEYER 1988, 50–51 werden (ERDRICH 2000, 193–196). Der Krieg 59). In diesem Kontext seien auch die recht gegen die Germanen wurde eingehend vom provokant formulierten Ausführungen von P.-J. römischen Geschichtsschreiber Publius Cornelius GEARY zur „Erfindung der Völker in der Tacitus in seinen um 110–120 AD erschienen Antike“ genannt, die diese Thematik kritisch Annales mit insgesamt mindestens 16 Bänden hinterfragen (DERS. 2002, 53ff.). eines wilden, barbarischen Wer waren die „Germanen“? Allgemein werden als „Germanen“ einige Stämme zuließe. Eine kritische Aufarbeitung zum „Wissen der Zeitenwende im Gebiet Mitteleuropas und über die Germanen und ihre Sprache“ erfolgte südlichen Skandinavien bezeichnet. Eine angeblich jüngst vom Linguisten und Indogermanisten W. ethnische Identität der Germanen wurde in der EULER und Publizisten K. BADENHEUER Forschung traditionell auch über die Rekonstruktion (DIES. 2009, 12–53). Allgemein werden heute der Die Untersuchungen zur indogermanischen Ursprache in Untersuchungen zielten darauf eine „indogermanische Frage gestellt, da eine „germanische Ethnie“ mit Ursprache“ zu rekonstruierten, die retrospektiv dann einer gemeinsamen Sprache der historischen Realität auch Aussagen zur einstigen Verbreitung der wohl nicht entspricht und damit per se nicht Germanen, als deren mutmaßliche Sprachträger, rekonstruierbar, bzw. belegbar ist (vgl. folgendes Sprache versucht zu belegen. 3 „Historisch- „wiederentdeckten Kultur“. So wird deutlich, dass Vergleichenden Sprachwissenschaft, Archäologie, die Fundstellenkarten keine Verbreitungsräume von Archäogenetik und Glottochronologie: Lassen sich Ethnien mit einer spezifischen Kultur (früher Völker diese Disziplinen sinnvoll vereinen?“ I. HAJNAL und Stämme) oder gar die Verbreitung von 2009). Vielmehr war die exogene, römische Germanen darstellen, da immer nur Teilaspekte der Fremdbezeichnung „Germanen“, wie dargelegt, ein einstig realen Kultur fragmentarisch kartiert wird. Sammelbegriff für viele, teils recht unterschiedlich Anderseits zeigen sich jedoch in den Karten, ausgeprägte, Stämme bzw. Gruppen, die eben keine beispielsweise gemeinsame (germanische) Identität hatten. Die als unterschiedlichen Germanen bezeichneten Gruppen verfügten aber in Brandgräber und deren Unterarten), oft recht Form von kulturellen Verbänden doch über eindeutige regionale Befundschwerpunkte. Diese zahlreiche einige archäologischen Formenkreise, bzw. in diesem Fall archäologische Forschungen analytisch-vergleichend Grabrituskreise, sind durchaus als eine kulturelle aufzeigen Die Gemeinschaft zu identifizieren, da der Grabritus als Definition des Begriffes Germanen ist im Kontext ein bedeutender Teilaspekt der präexistenten Kultur archäologischer Forschungen aber auf Kulturräume in ihrer kulturellen Wirklichkeit anzusehen ist. Eine materieller Hinterlassenschaften, der Funde und Ethnie, wie die Vermeintliche der Germanen, Befunde, bezogen, die nicht mit einer spezifischen bestünde jedoch aus weit mehr Elementen, wie einer Ethnie gleichgesetzt werden können. Die Artefakte gemeinsamen spiegeln immer nur einen Teilaspekt der einstigen gesellschaftlichen Ordnung und anderen, die heute historischen Kultur wider, die weit vielfältiger als der retrospektiv nur ansatzweise (z.B. als einheitliche jeweilige Trachtelemente Kapitel und weiterführend zur Gemeinsamkeiten, können (vgl. wie LEUBE Teilausschnitt der 2009). Fundstücke der in der Kartierung Grabformen Sprache, innerhalb (Körpergräber, einer der der einheitlichen archäologischen „wiederentdeckten Kultur“ war (EGGERT 2001, Funde) erschlossen werden können. Unbestreitbar 112.). Dabei ist zu betonen, dass diese „materielle sind aber in den Fundstellenkartierungen in Kultur“, d.h. z.B. der „Fundniederschlag“ der bestimmten Fundstellen Waffenausstattung) homogen erscheinende Gebiete in den archäologischen kulturellen Aspekten (wie der seltenen zwischen Rhein und Oder/Weichsel, nördlich der Ausnahmefall Aussagen zum spirituellen oder Mittelgebirgsschwelle, zu erkennen, die große sprachlichen Kontext zulassen, die aber zum Gemeinsamkeiten im archäologischen Fundgut Gesamtspektrum einer Kultur gehören, sodass diese aufweisen und so die Existenz einer größeren Karten kein reales Verbreitungsbild eines „Volks“, archäologischen bzw. einer Ethnie aufzeigen. So zeigt eine Formenkreis grenzt sich deutlich von anderen im Verbreitungskartierung Westen, Osten und Süden besonders signifikant Fundkartierungen, meist nur im ausgewählter Funde der Kultur Funde des aufzeigen. 1.–2. Jhs. Dieser bestenfalls ein Element (oder mehrere Elemente) der anhand BC ab historisch existenten Kultur. Vielerlei weitere (HERRMANN 1988, 209 Abb. 59; vgl. zu den kulturelle Elemente können in thematischen Funden des 1.–5. Jhs. AD – LEUBE et al. 1988, Gegenkartierungen in Bezug zueinander ausgewertet 385–438; SCHMIDT et al. 1988, 336–631; LEUBE werden und verdichten somit das Abbild der 2008, Beilagen;). Ob es sich hierbei jedoch 4 tatsächlich um das Verbreitungsbild schriftlich als lineare Vorfahren der Deutschen angesehen erwähnter Stämme, wie das der Kelten (im Süden wurden. und Westen), das der Skyten im Osten und das der Forschungsansätze standen noch bis in die zweite Germanen (zwischen Kelten und Skyten) handelt, ist Hälfte bisher nicht eindeutig zu klären, wohl aber nicht Germanenforschung entgegen. gänzlich zu verwerfen. Dieses Paradoxon geht mit Kulturräume Kulturkreise) einem Paradigmenwechsel neuerer Forschungen zu narrativen Angaben in den schriftlichen Quellen Germanen einher. Die oft politisch motivierten ergänzen, und sie können somit die germanische Germanenforschungen aus der ersten Hälfte des 20. Kultur im Sinne einer materiellen Kultur, anhand der Jhs. setzten archäologische Kulturkreise immer Funde und deren Verbreitungsbild, eindrucksvoll wieder mit „Völkern“, wie das der Germanen, gleich. darstellen. Sie „germanischen Ethnie“ ist jedoch nicht angebracht, hatten auch zur Aufgabe nationale Gebietsansprüche zu legitimieren, wobei Germanen Diese des subjektiven, 20. (nicht Die Jhs. nationalstaatlichen einer objektiven Archäologische können Gleichsetzung mit die einer geschweige denn verifizierbar. Woher kamen die „Germanen“? einer der prähistorischen Kulturen unterschätzt wird, bzw. des zu wenig Beachtung findet. Somit erscheinen diese Germanenbegriffs, innerhalb der die Germanen nicht Überlegungen oft monokausal und wenig plausibel. als Ethnie, sondern als archäologische Kultur zu Im verstehen sind, entbehrt es sich grundlegend die Sprachwissenschaft werden die alten Thesen einer Frage nach der Herkunft der Germanen zu stellen, da sich linear entwickelnden indogermanischen Sprache sie keine genealogische „Urheimat“ haben. So neu entziehen sich die diesbezüglichen Angaben zum Forschungen eine sprachliche Ursprungsregion als Ursprung des „Volks der Germanen“ in den nicht mehr haltbar anzunehmen ist. So gehen die schriftlichen Quellen der Antike, wie die der Mannus- Sprachwissenschaftler Genealogie in der Germania des Tacitus, einer BADENHEUER (2009) von der These einer fundierten Basis und sind als rein mythologisch urgermanischen Sprache in einer Ursprungsregion ab anzusehen. Des Weiteren ist die Annahme einer über (vgl. vorhergehendes Kapitel). Vielmehr hat sich Jahrhunderte wohl in mehreren Regionen gleichzeitig eine Auf der oben quellenkritischen genannten Grundlage, Hinterfragung kontinuierlich von Germanen Rahmen der hinterfragt, modernen sodass W. auch anhand EULER dieser und K. besiedelten Ursprungsregion, wie möglicherweise in prägermanische Südskandinavien (nach der Origo gentis in der Sprachgruppe noch vor der Ersten Lautverschiebung Gotengeschichte des Jordanes – vgl. HEATHER 1991 entwickelt. Dabei werden Verzweigungsmodelle 3ff.) oder am Nieder- bzw. Mittelrhein (im Gebiet verwendet, der ersten schriftlichen Lokalisierung der Germanen berücksichtigen und sich durch die räumliche Nähe durch Zeitzeugen – vgl. oben) nur von rein und den Kontakt der Sprecher von verwandten hypothetischem Sprachen Charakter, da bei solchen bzw. vergleichenden die ergeben. protogermanische wechselseitige Auch nach Einflüsse der Ersten Kontinuitätsüberlegungen meist die Mobilität und Lautverschiebung, im Zuge der Herausbildung der kulturelle Interaktion (mit Handel und Gütertausch) Germanischen Sprachfamilie (z.B. des Gotischen), ist 5 sowohl die räumliche Lokalisation der Sprecher, wie Bibel“ oder Wulfila-Bibel, neben weiteren gotischen auch die Datierung fraglich, da keine schriftlichen Handschriften des 6.–8. Jhs. AD, erhalten geblieben. Belege im größeren Umfang einer germanischen Trotz der fehlenden Belege wird aber den Trägern Sprache aus der Zeit vor dem 6. Jh. AD bekannt der germanischen Jastorf-Kultur und ostgermanischen sind. Die wenigen Runeninschriften, beispielsweise Przeworsk-Kultur auf vergleichenden germanischem Schmuck, haben nur des 1. Jhs. BC von Sprachwissenschaft der ein mythologischen, schwer erschließbaren Inhalt in sehr prägermanisches Idiom zugesprochen. Demnach soll unterschiedlicher lokaler Ausprägung. Sie stammen sich die Erste Lautverschiebung im Westen des zwar auf Jütland schon aus der 2. Hälfte des 2. Jhs. germanischen Sprachgebietes erst im 1. Jh. BC, AD; sind jedoch keine germanisch eigenständige möglicherweise beginnend mit dem römischen Entwicklung, sondern an des lateinische Alphabet Einfluss, vollzogen haben (DIES. 2009, 12–14, 66, angelehnt. Als ältestes Zeugnis der germanischen 72f). Sprache ist glücklicherweise die sogenannte „Goten- Was ist typisch „germanisch“ in der Archäologie? Durch regionale Ähnlichkeitsvergleiche kann die ausgeführt worden sind. Diese Kleinfunde sind archäologische recht jedoch recht seltene Fundstücke, die manchmal prägnant erfasst und deren zeitlicher Verlauf, auch mit außergermanischen Kontakten, durch durch exakte Datierungen, retrospektiv analysiert Handel und Tausch, in Verbindung gebracht werden. Zunächst ist jedoch erst einmal zu werden und so auch importiert worden sein definieren: Was ist das spezifische an der können. So ist gerade die relative Schlichtheit der germanischen Kultur? Die Eigentümlichkeiten der allermeisten Funde das typisch germanische germanischen Funde lassen sich anhand fast aller Kulturelement. Fundarten, wie Keramik, Waffen, Schmuck u.a. Typisch herausstellen. Im Vergleich zu keltischen Funden Hauptquellengattung der archäologischen Funde weisen die germanischen Funde allgemein weniger darstellen, sind meist handgeformt und selten auf Verzierungen auf. Sie sind oft von funktionalem der Drehscheibe hergestellt. Als Verzierungen Habitus und häufig schlicht verziert. Anderseits weist die Keramik umlaufende Rollrädchen- (oft können aber auch germanische Fibeln sehr in Mäanderform) und Rillen- sowie Tupfen- und filigrane Zierelemente aufweisen. Als klassisch Dellenmuster auf. Zu den Gefäßformen gehören, germanisch gelten Verzierungen auf Fibeln, neben den aufwendigen Terrinen, Pokalen und Gürtelschließen und -beschlägen oder Ohrringen Fußgefäßen, meist weniger aufwendige bauchige aus Eisen und Buntmetall, die in Form von Töpfe, Schalen, Näpfe und derbe, unverzierte Kerbschnitt-, Kümpfe, die meist 75% des Fundmaterials von Kultur der Germanen Durchlochungs-, Punz- und germanische Keramiken, ehemaligen Tierstilornamenktik fabelhaft VOLKMANN im Druck; Kapitel „Probleme des verschlungenen Tierkörpern, bzw. Tierköpfen keramischen Fundguts – Kümpfe und Keramik stilisierten, darstellen die Gravurarbeiten in geometrischer Ornamentik oder mit Siedlungen die (vgl. 6 mit Stempelzier“). Die Siedlungsbefunde lassen Körper- und Brandgräbern zu erkennen, die zudem anhand die im zeitlichen Verlauf vom 1.–5. Jh. AD in Rekonstruktion von Langhäusern mit einer Länge unterschiedlichen Häufigkeiten angewandt wurden. von bis ca. 20m zu, die wohl von einem Die germanischen Körpergräber sind für die Familienverband den Archäologie besonders reichhaltige Quellen, da den Langhäusern leben die Bewohner mit ihrem Vieh Verstorbenen innerhalb der Totenzeremonie von unter einem Dach, wie zahlreiche Stallbefunde mit den Angehörigen vielerlei Grabbeigaben (Schmuck, Viehboxen verdeutlichen. In den dorfartigen Waffen, Alltagsgegenstände und Keramiktöpfe mit Siedlungen standen zeitgleich meist 2–5 Langhäuser Speisen) mitgegeben und des Weiteren die Toten in und einige kleine Grubenhäuser mit einem in die ihrer Tracht mit ihrem Schmuck beerdigt wurden Erde eingetieften Bereich. Die Grubenhäuser (z.B. vgl. SCHLEGEL 2005, 89–90). Schwierig ist wurden als Werkstatthäuser genutzt, wobei es dahingegen die Analyse der Grabbeigaben von darüber Brandbestattungen, von hinaus Pfostenstandspuren genutzt auch wurden. noch In weitere kleine weil diese auf dem Wirtschaftsgebäude gab. Scheiterhaufen mitverbrannt wurden und somit In germanischen Friedhöfen herrschten teilweise sehr stark fragmentiert worden sind. Dies ist leider birituelle die im Elb- und Oder- sowie Ostgermanischen Gebiet Verstorbenen wurden auf ein und demselben bis an die Weichsel meist der Fall, sodass die Friedhof sowohl verbrannt als auch unverbrannt germanischen Gräber dort oft nur schwer als bestattet. Es sind aber regionale Schwerpunkte von solche überhaupt zu erkennen sind. Begräbniszeremonien vor, d.h. „Germanisches Recht“ Informationen zum germanischen Recht sind in „Germanisches Recht“ irreführend und sollte den schriftlichen Quellen bis zum 5. Jh. AD nur prägnanter sehr selten, wobei nur wenig konkrete Angaben Recht“ überliefert sind. Ab der Mitte des 5. Jhs. entstanden völkerwanderungszeitlichen in den auf das Imperium Romanum folgenden Ethnogenese „Germanischen mächtigen Reichen“ einzelne als „Römisch-Germanisches beschrieben werden. waren bis aber Vorfahren, Innerhalb d.h. der mittelalterlichen die vermeintlich das „Volk der Rechtsaufzeichnungen, die grundlegend durch die Germanen“ aus den römischen Quellen, das in der Begegnung Varusschlacht des nicht verschriftlichten die Römer sogar besiegte, germanischen Stammesrechts mit der römischen willkommene Ahnen auf die man eindrucksvoll Rechtskultur geprägt waren. Da die Gesetze seinen eigenen Machtanspruch, z.B. den der Goten weiterhin in Latein verfasst wurden und stark auf oder Franken, begründen konnte. Der Mythos der römischem Recht basieren, sind die germanischen Germanen, d.h. der mythologische Ursprung der Stammesrechte nicht explizit als eigenständiges, Germanen, war des Weiteren ein wichtiges Medium ursprünglich bestehendes Recht anzusehen (wie zur Identitätsbildung bei der beispielsweise die Bezeichnung in den schriftlichen Staatenbildung. Quellen schon aussagt: Lex Romana Burgundionum). Frühmittelalters im 8. Jh. AD entstanden folgende Streng genommen ist die Verwendung des Begriffs Rechtsaufzeichnungen (nach WIECZOREK et al. Bis zum mittelalterlichen Beginn des 7 1996, 943–944; MORDEK 1996, 488–495; SCHMIDT-WIEGAND 1997, 267–268): hinterfragen: Einerseits besteht die Meinung einer sich frei organisierten Gesellschaftsform der Germanen mit freien Bauern und nur im ● kurz vor 439 AD das Codex Theodosianus bzw. notwendigen Edictum Theoderici – bestimmten die Gotische Gesetzessammlung KROESCHELL ● um 475 AD das Codex Euricianus – eine vertritt besonders in jüngster Zeit die Forschung Verordnungssammlung des westgotischen teils die Ansicht der Existenz eines germanischen Königs Eurich Adels und Fürstentums, also eines präfeudalen ● vermutlich zwischen 480 bis 501 AD das Gemeinwesen, was ebenfalls nicht im Gegensatz zu Lex Romana Burgundionum bzw. kurz Lex den fragmentierten Angaben in den schriftlichen Burgundionum – die Rechtssammlung der Quellen Burdunden (im Rückgriff auf das Organisationsform der germanischen Gesellschaft Edictum Theoderici und Codex Euricianus ) des 1.–5. Jhs. AD sind aber nur scheinbare ● wohl zwischen 507 und 511 AD das Lex Salica Gegensätze, da mit hoher Wahrscheinlichkeit eine – die Fränkische Rechtssammlung einheitlich-homogene ● um 643 AD das Edictum Rothari – gesamten germanischen Siedlungsgebiet in dieser die Langobardische Rechtsaufzeichnung Zeitstellung als irreal anzusehen ist, auch wenn die ● um 654 AD das Lex (Romana) Visigothorum – Gruppen in diesem sehr großen Gebiet, aufgrund die Westgotische Rechtsaufzeichnung des vorliegenden Fundmaterials, regional nicht durch König Reccesvinth grundlegend unterschiedlich ausgeprägt waren. Um ● in der 1. Hälfte des 7. Jhs. AD (wohl zwischen sich der historischen Realität zu nähern, bedarf es 613 bis 623 AD) der Pactus legis Alamannorum hierbei neuer Denkmodelle, die ohne ideologische bzw. Lex Alamannorum – Dogmen bisheriger Forschungen die offenen die Alamannische Rechtsaufzeichnung Fragen zu Germanen neu beleuchten und diese in Angriffsfall (temporären) 1998, steht. gemeinschaftlich Königstum 224–226). Beiden (vgl. Anderseits Thesen Verwaltungsstruktur zur im ihrem politischen Zeitkontext verstehen sowie In diesem Kontext sind zwei Denkmodelle, die im kritisch hinterfragen. 19. bis 20. Jh. entstanden, grundsätzlich zu Literatur DIETZ 2000 ERDRICH 2000 Dietz, K. Zur historischen Geografie nördlich der Alpen. In: Wamser, L. (Hrsg.) Die Römer zwischen Alpen und Nordmeer: Zivilisatorisches Erbe einer europäischen Militärmacht, 1–9 (Mainz 2000). Erdrich, M. Römische Germanienpolitik im 1. Jh. n.Chr. In: Wamser, L. (Hrsg.) Die Römer zwischen Alpen und Nordmeer: Zivilisatorisches Erbe einer europäischen Militärmacht, 192–196 (Mainz 2000). EGGERT 2001 EULER/BADENHEUER 2009 M. K.-H. Eggert, Prähistorische Archäologie: Konzepte und Methoden (Tübingen/Basel 2001). 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